„Niederschwelligkeit” bei Gratis-Konzerten ist gescheitert
Geiz ist geil.
Noch besser als billig ist gratis. Kunst darf alles, vor allem aber nichts
kosten. Jahrhundertelang war die Kunst böse und auf der Seite der Mächtigen und
Reichen. Jetzt hat sie sich endlich demokratisiert und ist für jeden
zugänglich. Gratis-Konzerte und Gratis-Festivals sprießen in Österreich nur so
aus dem Boden. Dass das so ist, verdanken wir der Idee der „Niederschwelligkeit”.
Das Konzept
dahinter ist einfach. Vor allem die Schwelle der Bezahlung wird dabei
niedergerissen. Teure Konzerttickets sind passé. Um die imaginäre Schwelle
zwischen Alltag und Kunstgenuss zu überschreiten, muss nicht mehr tief in die
Brieftasche gegriffen werden. Damit fällt auch eine weitere Schwelle. Wer zu
Gratis-Konzerten geht, lässt das, was dort geschieht, auf sich zukommen. Der „Gratis-Festival-Konsument” ist ein Konsument des „Schaun-Wir-Mal”. Er ist zwar grundsätzlich offen,
begeistert zu werden, erwartet sich das aber nicht unbedingt. Wenn sich die
Momente der Begeisterung nicht einstellen, dann ist zumindest nichts verloren.
Schließlich hat man ja nichts bezahlt und im besten Fall dennoch ein paar nette
Augenblicke im Freien mit Freunden und Alkohol verbracht.
Das macht etwas
mit dem Werk, das rezipiert wird.
Seit jeher ist die Komposition und das Musikstück von Schwellen umgeben. Vor Jahrhunderten war es die Schwelle des Hofes. Wer dort nicht gerne gesehen war und keinen Zutritt hatte, etwa wegen fehlendem Adelstitel, hatte oft auch keinen Zugang zum Musikgenuss. Diese Schwelle gibt es, zum Glück, nicht mehr. Im Heute ist sie, zumindest im Bereich der „Hochkultur”, durch eine abgemilderte Form ersetzt worden. Der “Geld-Adel” bleibt immer noch gerne unter sich und schützt sich mit der Schwelle von hohen und allzu hohen Eintrittspreisen.
Seit jeher ist die Komposition und das Musikstück von Schwellen umgeben. Vor Jahrhunderten war es die Schwelle des Hofes. Wer dort nicht gerne gesehen war und keinen Zutritt hatte, etwa wegen fehlendem Adelstitel, hatte oft auch keinen Zugang zum Musikgenuss. Diese Schwelle gibt es, zum Glück, nicht mehr. Im Heute ist sie, zumindest im Bereich der „Hochkultur”, durch eine abgemilderte Form ersetzt worden. Der “Geld-Adel” bleibt immer noch gerne unter sich und schützt sich mit der Schwelle von hohen und allzu hohen Eintrittspreisen.
Eine weitere
Schwelle, die es zu überschreiten gilt, ist das Musikstück selbst. Nicht jede
Komposition und jedes Musikstück öffnet sich von selbst und ist
selbsterklärend. Oftmals braucht es Kontextwissen, Vorbereitung und
vorausgehende und intensive „Hörarbeit”.
Beim Konzept
der Niederschwelligkeit finden wir eine komplexe Situation vor. Alltag und „Kunst-Situation” sind weniger getrennt als je zuvor.
Gut möglich, dass man in Wien in den nächsten Tagen durch die Straßen läuft und
auf ein „Popfest” trifft, mit dem man gar nicht
gerechnet hatte. Gut denkbar, dass man sich an einem lauen Sommertag dann
hinsetzt und schaut, ob einen etwas fesselt und interessant vorkommt.
Der Kunstgenuss
ist jedenfalls fragmentiert und durch die fehlende „Bezahlschranke” grundlegend verändert. Der gerade
spielenden Band wird weniger Geduld entgegengebracht. Sie muss sofort überzeugen.
Spannungsbögen und Programme, die sich erst durch den gesamten Verlauf des
Konzertes erschließen, haben es hier schwerer als in einer Situation, für die
Geld bezahlt wurde. Wer bezahlt, hat sich meist bewusst für ein Konzert
entscheiden. Mit dieser bewussten Entscheidung geht zumeist auch eine bewusste
und aufmerksame Rezeption einher. Man hat ja bezahlt und möchte etwas bekommen,
dass diesen Geldwert rechtfertigt.
Aber nicht nur
der Kunstrezeption ist verändert. Auch das Publikum bei Gratis-Konzerten und
Gratis-Festivals unterscheidet sich von dem bei Bezahl-Konzerten und
Bezahl-Festivals. Das Publikum bei Letzteren ist, mehr oder weniger, homogen.
Zumindest kann es sich aber in den allermeisten Fälle auf Erwartungshaltungen
und Ästhetik-Vorstellungen einigen, die in der Konzert-Situation kompatibel
sind.
Bei
niederschwelligen bzw. schwellenlosen Gratis-Events ist das Publikum zutiefst
heterogen. Die Erwartungshaltungen lassen sich nicht auf einen gemeinsamen
Nenner bringen. Das stellt die beteiligten Künstler, Programmgestalter und
Bands vor Herausforderungen. Doch wie wird auf diese Herausforderungen
reagiert? Meist mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner. In vielen Fälle mit
Stücken, Kompositionen und ästhetischen Konzepten, die als Allgemeingut gut und
für die allermeisten Zuhörer sofort zugänglich sind.
Das
New-Orleans-Festival in Innsbruck zeigt beispielsweise die Konsequenzen der
sogenannten “Niederschwelligkeit”. Struktur und Aufbau der jeweiligen Songs
müssen altbekannt sein. Der Blues ist da natürlich ein dankbarer Wegbegleiter.
Neben Eigenkompositionen darf nicht auf Standards und bekannte Lieder vergessen
werden, zu denen das Publikum mitsingen kann. Irritationen und musikalische
Abenteuer sollten ausbleiben.
Ein paar
Hundert Meter vom Landhausplatz entfernt gehen im Juli die “Innsbrucker
Promenadenkonzerte” über die Bühne. Auch dort wird manchmal gemurrt, wenn es
einmal zu anspruchsvoll werden sollte. Insgesamt hat man es dort aber
in über zwanzig Jahren geschafft, eine einheitliche Ästhetik und Qualität zu
etablieren. Das Publikum, obgleich nicht homogen in Wünschen und Ansprüchen,
lässt sich zumindest auf gewisse Irritationen und Grenzüberschreitungen ein.
Nur wenige verlassen bei akuter Überforderung der eigenen Hörgewohnheiten die
Location.
Was sagt uns
das? Wohl auch, dass wir der Gratis-Konzert-Schwemme skeptisch, aber nicht
völlig ablehnend gegenüberstehen sollten. Ist das Konzept der “Niederschwelligkeit”
gescheitert? Ja, zum Teil. Aber es gibt Hoffnung. Zumal dann, wenn man sich
nicht mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zufrieden gibt, sondern diesen immer
wieder dezent, aber konsequent in Frage stellt und um zusätzliche Aspekte
anreichert. Die Heterogenität des Publikums kann auch Chance sein. Die
“Niederschwelligkeit” kann auch dazu führen, Menschen mit ihnen bisher
unbekannten Kunstformen und Spielarten in Berührung zu bringen. Zumindest
potentiell.
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